Recycling und Upcycling haben heute ihre Öko-Nische längst verlassen und den frugalen Jutesack-Charme abgelegt. Ganz sicher sind sie kein Hype mehr und auch kein Hirngespinst fanatischer Umweltschützer. Sowohl recycelte Produkte als auch Upcycling-Design überzeugen mit hoher Qualität, ethischem Hintergrund und stylischer Ausführung. Was mir aber erst vor kurzem klar geworden ist: Wiederverwertung liegt bei mir in der Familie. Ist Upcycling denn ansteckend oder gar angeboren?

Wiederverwertung, das Familiending

 Verwertung statt Verschwendung - Futterbeutel für Hunde

Verwertung statt Verschwendung: Die Futterbeutel entstanden aus robuster Jeanshose, tollem Reststoff und Regenschirm.

Meine Oma, die Upcycling-Pionie­rin

Upcycling im Jahre 1954

Upcycling im Jahre 1954: Küchenschürzen zu Mädchenkleidchen umgenäht

Als ich geboren wurde, hat man in Polen von Upcycling noch nichts gehört, das Prinzip der stofflichen Aufwertung war allerdings bereits seit den Nachkriegsjahren bestens bekannt. Meine Großmutter, gelernte Krankenschwester und begnadete Überlebenskünstlerin, hat mit ihrer Nähmaschine wahre Wunder vollbracht: Aus Küchenschürzen, Arbeitskleidung, Bettwäsche oder Tischdecken hat sie für ihre vier Töchter – mehr aus Not als aus kreativem Bedürfnis – wunderschöne und richtig stylische Kleidungsstücke genäht.

Die überlieferten Fotos meiner Mutter und Tanten zeigen vier kleine Fashionistas, die unter den süßen Fummeln ihre dürren Gliedmaßen verstecken: Die Zeiten waren hart. Der gute Stil war stärker.

Zum Recycling erzogen

In meiner Schulzeit war wiederum Recycling hoch im Kurs: Mit Altpapier oder Flaschen, die ich damals fleißig gesammelt hatte, konnte ich mir die Taschengeld-Kasse um ein paar Groschen aufbessern. Der staatlich propagierte Wiederverwertungsgedanke galt allerdings nicht dem Umweltschutz, sondern war der prosaischen Produktknappheit auf dem polnischen Markt geschuldet. In den Läden gab es zuverlässig nur Essig, Wäscheklammer und ein mittelgraues Toilettenpapier, das stark an ein Krepppapier erinnerte: gewellt, rau, krumm aufgewickelt und alles andere als weich. „Saugschwaches Schleifpapier“ wäre dafür die richtige, wenn auch nicht so werbewirksame Produktbezeichnung. Ähnlicher Beliebtheit wie der polnische Vorläufer des heutigen Toilettenpapiers erfreuten sich auch Schul- oder Büroartikel aus Altpapier: Gräulich, uneben und fleckig fügten sie sich in den eben solchen polnischen Alltag ein und ließen die Menschen zu unfreiwilligen Umweltschützern werden.

Der Billig-Wahn

Heute ist Re- und Upcycling eine ganz bewusste Entscheidung, die keinen Verzicht auf Qualität oder Ästhetik bedeutet: Fast immer haben wir die Wahl, zu den ökologisch wertvollen und hochqualitativen Produkten zu greifen. Ganz gleich, ob wir eine neue Hose suchen, den nächsten Urlaubstrip planen oder Hundefutter kaufen. Wir haben die Wahl! Gerade die Hundehalter sind in meinen Augen prädestiniert dafür, ein ökologisch wertvolles Verhalten an den Tag zu legen: Wir sind tagein tagaus in der Natur, engagieren uns oft im Tierschutz und wollen für die Vierbeiner doch nur das Beste. Leider gewinnt aber immer noch – in der Hundebranche genauso wie beim Lebensmittel- oder Kleidungskauf – meist die „Billig will ich“-Denke und die „Geiz ist geil“-Philosophie.

Ich bin immer wieder aufs Neue erstaunt, wie es, zum Henker nochmal, der Werbung gelungen ist, aus Knauserei eine Tugend zu machen? Selbst ich – bei Leibe kein Zahlengenie! – weiß genau: Wer billig kauft, kauft zweimal. Massenware miserabler Qualität hält eben nicht lange und muss schnell wieder ersetzt werden. Schlechtes Futter oder ungesundes Spielzeug für Hunde und Katzen ziehen in der Regel wiederum hohe Tierarztkosten nach sich, wenn plötzlich Allergien oder Tumore auftauchen. Eine vermeintliche Ersparnis endet also in großen Ausgaben. Ein offenes Geheimnis, das mit erstaunlicher Hartnäckigkeit ignoriert wird.

Das Zeug zum Umweltschützer

Als ich 2015 SECOND HOUND ins Leben gerufen habe, wollte ich dem umweltbewussten Hundehalter eben das bieten, was ich selbst bereits praktiziert habe: Upcycling für den Hund! Statt der in den Billiglohn-Ländern hergestellten Massenware – Polyester-Leinen, Synthetik-Hundemäntel, Plastik-Decken oder Kunststoff-Bälle – sollte SECOND HOUND regional, mit viel Sachkunde und umweltfreundlich hergestellte Produkte bieten. Alle Fans stabiler und stilvoller Handarbeit finden seitdem bei SECOND HOUND Hundezubehör aus hochwertigen Rest- und Second-Hand-Stoffen: Auf diese Weise wird der stets wachsende Textilberg reduziert und vergessenen oder missachteten Materialien neues Leben eingehaucht. SECOND HOUND – und seit kurzem auch UNIQUE DOG – bieten eine liebevoll und handgemachte Alternative für die chemieverseuchten Spielzeuge und andere Billig-Accessoires, die in menschenunwürdigen Bedingungen und mit beträchtlichem Schaden für die Umwelt entstehen.

Verwerten statt verschwenden

Hundehalstücher aus Männerhemden

Aus Männerhemden lassen sich großartige Halstücher für Hunde kreieren

Doch erst heute, nachdem ich unzählige Hundeaccessoires aus Jacken, Hosen oder Mänteln kreiert und unzählige Stunden an meiner Nähmaschine verbracht habe, ist es mir klar geworden: Der „Verwertung statt Verschwendung“-Lebensstil, den ich für meine persönliche Weiterentwicklung hielt, hat seinen Ursprung in meiner Kindheit. Ohne es bewusst wahrzunehmen, habe ich von meinen Großeltern den Respekt für die Handarbeit und die Kunst des kreativen Wiederverwertens gelernt. Aus Bonbon-Zellophan bastelten wir Scherenschnitte oder Armreifen, leere Arzneidosen dienten uns als Aufbewahrungsboxen für Krimskrams, Geschenkpapier wurde immer wieder aufs Neue verwendet – die bunten Muster haben doch zum nächsten Weihnachten nichts an Gültigkeit verloren!-Auch heute noch flicke ich meine löchrig gewordene Socken statt sie wegzuwerfen und beäuge jeden vermeintlich kaputten Gegenstand kritisch: Lässt er sich nicht etwa umfunktionieren und weiter verwenden? Auf diese Weise kam ich bei SECOND HOUND auf die Idee, den Stoff ausrangierter Regenschirme als wasserabweisende Innenseite der Futterbeutel zu nutzen. Oder gebrauchte Isomatten zu funktionalen Decken für kälteempfindliche oder ältere Hunde zu verarbeiten. Ein Fahrradschlauch eignet sich auch perfekt als Kottüten-Spender oder als wasserdichter Hundeschuh für verletzte oder salzempfindliche Pfoten.

Mainstream ist einfacher

Natürlich verfüge ich heute über ein größeres Wissen und Umweltbewusstsein als früher. Sehe ich eine Jeans, denke ich automatisch an die 10.000 Liter Wasser, die man für die Herstellung jedes einzelnen Paares braucht. Habe ich die Wahl zwischen Bio-Baumwolle und herkömmlich hergestelltem Stoff, sehe ich vor meinem inneren Auge die Unmengen an Pestiziden und anderen schädlichen Chemikalien, die für den Anbau und zum Färben klassischer Materialien verwendet werden. Fällt mir ein Preisschild mit „Jedes T-Shirt 2 EUR“ auf, ärgere ich mich über die Habgier der großen Textilkonzerne, deren Reichtum auf der Ausbeutung der Arbeiter und Verpestung der Umwelt basiert. Doch die Zeiten, wo man mit teuren Marketingmaßnahmen die Knickerei als gute Sitte anpreist und der Gang zum Mäc Geiz zum alltäglichen und gesellschaftlich anerkannten Ritual wurde, sind trotz der Fülle an Recyling- und Upcycling-Angeboten ziemlich hart. Schließlich ist beinahe alles schnell, billig und unverbindlich geworden. Und der innere Schweinehund ist so mächtig…