Die Interzoo 2022 hat sich die Nachhaltigkeit groß auf die Fahnen geschrieben. Ich bin der Fährte durch die Nürnberger Hallen gefolgt. Meine Ausbeute ist eher bescheiden geblieben, doch der „grüne Wind“ ist bei der weltgrößten Heimtiermesse deutlich spürbar gewesen. Immerhin.
Interzoo: Die besondere Herausforderung
Nach einigen Jahren Tätigkeit als Mode-Redakteurin bin ich messeerprobt – Barcelona, Paris, Düsseldorf oder Berlin waren beruflich mein zweites Zuhause. Doch die Interzoo ist anders. Für die Nürnberger Messe braucht man besonders viel Geduld und bequemes Schuhwerk. Vor allem aber eine verdammt gute Kondition. Denn anders als andere Fachausstellungen folgt die Interzoo in ihrer Struktur keiner Logik. Global Player stehen neben kleinen Manufakturen, Hamsterzubehör findet Platz neben Hundebedarf. Die seltsame Tradition hat zur Folge, dass Interzoo-Besucher deutlich größere Strecken zurücklegen müssen als bei anderen Messen, wenn sie sich für eine bestimmte Spezies oder ein konkretes Thema interessieren. So war es auch bei mir – auf der Suche nach nachhaltigen Trends im Hunde- und Katzenbereich habe ich einen spektakulären Zickzack-Kurs durch zwölf Hallen mit einer Ausstellungsfläche von rund 105.000 Quadratmetern absolviert. Reizüberflutung pur.
Nachhaltigkeit: Zwischen Wunschdenken und Realität
Bereits vor vier Jahren – bei der letzten Messe-Edition vor der Corona-Panik – stand das Thema „Nachhaltigkeit“ in dicken Buchstaben in sämtlichen Presse-Unterlagen und auf zahlreichen Plakaten geschrieben. Dieses Jahr war „Sustainability“ noch um Einiges präsenter, zumindest verbal. Georg Müller, der Vorsitzende des Industrieverbands Heimtierbedarf, sagte bei der Pressekonferenz, dass laut einer internen Umfrage „92 % der Verbandsmitglieder das Thema der Nachhaltigkeit fest etabliert haben“. Auf meine Frage, wie die phantastischen Zahlen zustande kommen, wo doch grüne Produkte lediglich einen Bruchteil des herkömmlichen Angebots im Fachhandel ausmachen, hat er eingeräumt, dass es sich vielmehr um eine „gedankliche Verankerung“ handelt. „Die Gedanken sollen wir nun in Konzepte umsetzen“, so Müller.
Interzoo 2022: Die Pressekonferenz
„Lang ist der Pfad und beschwerlich“ *
„Die Nachhaltigkeit äußert sich nicht nur in Produkten, die die Nachhaltigkeit ausloben, sondern in der kompletten Lieferkette“, erklärte Müller. Es gehe hier um das Thema Proteine, also „diejenigen Bausteine des Futters, die mit dem meisten CO2 belastet sind und bei denen wir uns überlegen müssen, ob wir auf Alternativen ausweichen können, wie pflanzliches oder Insektenprotein. Es geht um das Thema Tierwohl sowie Verpackungen, die vom Wegwerfsack zum recyclingfähigen Sack entwickelt werden müssten. Und es geht um die Transporte und die Energie in der Produktion.“ Der Prozess habe erst jetzt begonnen und es werde „eine Reise sein, für die wir einige Jahre brauchen.“ Wichtig sei erstmal, dass das Thema auf der Prioritätenliste ganz oben stehe.
Haupttrigger für Strategieänderung: Kundennachfrage
Ähnliche Zahlen wie die Umfrage unter den Verbandsmitgliedern lieferte auch eine mit der Antwerp Management School (AMS) erstellte Studie. „Fast 90 Prozent der knapp 200 Befragten aus 44 Ländern gehen davon aus, dass nachhaltige Entwicklung wichtig oder sehr wichtig für die Heimtierbranche in den kommenden drei Jahren sein wird“, erklärte Dr. Rowena Arzt, Bereichsleiterin Messen. Es gebe nur noch eine Diskrepanz dazwischen, wie der Fortschritt des eigenen Unternehmens und der gesamten Branche gesehen werde. „Die Entscheidungen, die wir in den nächsten zehn Jahren treffen, werden die nächsten hundert Jahre entscheidend beeinflussen, wie wir auf dem Planeten leben, insofern wünscht man sich sicherlich, dass das eine oder andere schneller geht. Aber wir sehen eine Veränderung von 2018 zu heute: Der Stellenwert der Nachhaltigkeit ist ein anderer. Haupttrigger ist nach wie vor die Kundennachfrage und das Kundenbedürfnis. Aber einige Firmen sehen bereits einen eklatanten Vorteil für die Gesamtstrategie, sich nachhaltiger aufzustellen.“, sagte Arzt.
Platzhirsche plötzlich nachhaltig?
Die „gedankliche Verankerung“ umweltfreundlicher Ziele ist sicherlich der erste Schritt in die richtige Richtung, doch das Gros der Aussteller auf der Interzoo wirkt auf mich in ihren Bestrebungen, grüner zu werden, nicht glaubwürdig. In meinen Augen steckt keine intrinsische Motivation dahinter. Vielmehr sind zwei Faktoren für den zögerlichen Richtungswechsel in der Branche ausschlaggebend:
- Geänderte Kundennachfrage: Selbst die größten Umweltsünder und Tierausbeuter der Branche wollen sich neue Umsatzmöglichkeiten nicht entgehen lassen. Und das vielversprechendste Wachstumspotenzial (neben dem Aufkauf der Tierkliniken und der Übernahme der Tierbestattungsbetriebe) steckt heutzutage eben im Bereich der „grünen“ Produkte. So setzen die Platzhirsche für Billigfutter aus der Massentierhaltung und Großfabrikation von Zubehör in den Niedriglohnländern jetzt auch auf Trends wie vegan, bio oder Insekten. Nicht etwa aus Überzeugung – sondern zur Umsatzmaximierung.
- Strenegere Klimaauflagen: Die 17 globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung der Agenda 2030 ** sowie die Vorgaben des europäischen Green Deals *** wirken sich auch auf die EU-Richtlinien aus. Das Zehnjahresprogramm für nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster tangiert schließlich – wenn auch ohne ernstere Konsequenzen – unter anderem die Wirtschaft, die angehalten wird, auf erneuerbare Energien und nachwachsende Ressourcen zu setzen und ihren CO2-Abdruck zu reduzieren.
Doch alles in Allem war die diesjährige Interzoo sicherlich „grüner“ als ihre Vorgängerinnen.
Meine grünen Messe-Favoriten
In der Halle 11, auf dem geförderten Gemeinschaftsstand für junge innovative Unternehmen, haben sich gleich ein paar Manufakturen versammelt, die sich die Nachhaltigkeit von Anfang an auf ihre Fahnen geschrieben haben. Andere Umweltaktivisten – oder solche, die es werden wollen – habe ich, willkürlich auf dem Messegelände verstreut, mühsam suchen müssen. Die Entdeckungen machen Mut: Auch wenn sie als Einzelkämpfer gegenüber den konventionell agierenden Global Playern nicht ins Gewicht fallen, so bilden sie synergetisch eine stets wachsende Größe, die für umweltbewusste Kunden alternativlos sind.
EAT SMALL: Frauen-Power aus Berlin
Das Berliner Frauen-Duo EAT SMALL, einer der Branchen-Vorreiter für insektenbasiertes Hundefutter, haben neben ihren Snacks, Trocken- und Nassfutter auch neue Dental Sticks präsentiert. „Dank der Förderung vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz können wir uns den Messestand leisten“, sagte Veronique Glorieux, kanadische Tierärztin und eine der Gründerinnen der Marke. „Die Stimmung ist wahnsinnig inspirierend und wir sind sehr froh und stolz, Teil des Pavilions zu sein.
MycAni: Innovative Pilz-Kräuter-Mischungen aus Sachsen
Die 2017 gegründete sächsische Manufaktur MycAni stellte Vitalpilz-Kräuter-Mischungen für Hunde und Katzen vor, die unter verschiedenen Beschwerden leiden. Das junge Unternehmen – ebenfalls mit einer weiblichen Doppelspitze – arbeitet plastikfrei und erfreut die Tierhalter mit kreativen Namen der Produkte wie „Chill mal“ (zur Beruhigung), „Durchspüler“ (als Nierenunterstützung), Mimose (als Immunsystem-Booster) oder „Rennsemmel“ (zur Unterstützung des Bewegungsapparates. Ich kenne bisher keine Naturprodukte für Hunde und Katzen, die sich gleichermaßen der Heilkraft der Medizinalpilze und Wildkräuter bedienen.
Schnoolie: Trainingstool aus dem Schwarzwald
„Schnuller für Hunde“ klingt erst einmal nach einem neumodernen Gadget für verwöhnte Hundegören. Doch der kleine, unscheinbare Gegenstand bringt eine echte Bereicherung im Leben des engagierten Hundehalters. Die flache Dose, entworfen von den Schwestern Cornelia und Meike Groß, sorgt für Entspannung und Beschäftigung gestresster Vierbeiner. Der runde, mit Hohlräumen ausgestattete Behälter lässt sich mit Leberwurst, Hüttenkäse oder Banane befüllen und bringt Ablenkung bei Behandlungen beim Tierarzt, Besuchen beim Hundefriseur, Begegnungen mit Joggern oder Fahrten mit der Straßenbahn. Anders als Futtertaschen, deren Inhalt immer wieder ausgeht und die Hunde in Stresssituationen oft mit Leckerlis regelrecht vollgestopft werden, reicht bei Schnoolie die kleinste Menge weicher Paste, um den Hund anzuziehen. Die Kunststoff- und Silikon-Teile werden in Ulm und in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung in Freiburg produziert. Der gebrauchsmustergeschützte Schnuller ist endlos nachfüllbar und in der Spülmaschine waschbar.
HUNTER: Das Unternehmen will klimaneutral werden
Bereits ein alter Hase in der Branche, überraschte in der Halle 1 mit einer neuen Öko-Strategie. „Bis 2030 wollen wir klimaneutral wirtschaften wollen“, erklärte Nadine Trautwein, seit 2007 die Geschäftsführerin des Bielefelder, 1980 gegründeten Familienunternehmens. „Wir stellen das Sortiment nach und nach um, haben aber jetzt schon einen Teil an umweltfreundlichen Produkten, wie etwa Spielzeug aus recycelten Stoffen oder Zubehör aus hochwertigem, vegetabil gegerbtem Leder made in Deutschland“, so Trautwein. „Anhand klar definierten Kriterien bei Beschaffung der Rohware, Transportwegen, Verpackungen, Druck, Gebäudetechnik und Logistik sowie Langlebigkeit und Stabilität der Produkte wollen wir in naher Zukunft klimaneutral agieren.
GOTO Sportswear: Geschirre und Leinen aus Meeresplastik
Das junge finnische Unternehmen stellt recycelbare, langlebige und ultraleichte Hundegeschirre aus Meeresabfällen her, die aus den Ozeanen gesammelt werden. Sympathisch und überzeugend war – in der Halle 4A beheimatet – nicht nur der Gründer Toni Koutu, sondern auch sein Bestreben, auf den asiatischen Standort als Produktionsstätte zu verzichten. GOTO Sportswear Produkte entstehen in Estland und umfassen vier unterschiedliche Geschirrmodelle in fünf verschiedenen Farben und eine passende Leine.
ECOPET: Hundematten aus Kokosfasern
Design und Verarbeitung des in Polen – einem traditionellen Textilstandort – hergestellten Hundezubehörs sind meist einwandfrei, die Öko-Trends sind dort allerdings noch kaum angekommen. Desto größer war meine Freude, als ich in der Halle 4 auf dem EMPETS-Stand innovative Hundematten aus Kokosfasern mit Naturkautschuk-Verstärkung entdeckt habe. Naturgemäß ist sowohl die Kokosfüllung als auch die Naturlatex-Schicht nicht europäischen Ursprungs, da diese Bäume auf unserem Kontinent nicht vorkommen. Beide Rohstoffe sind aber rein natürlich, nachwachsend und langlebig und machen die Hundeliegen zu ökologisch wertvollen Produkten mit hypoallergischen, antibakteriellen und thermoisolierenden Eigenschaften. Der Bezug der etwa 7 cm dicken Liegen entsteht im südpolnischen Tschenstochau.
Paulines PAWtiserie: Kreative Leckerlis aus dem Ländle
Erfrischend anders sind die Köstlichkeiten aus dem baden-württembergischen Fellbach, die in der Hundekeksmanufaktur von Hand gefertigt werden: aus rein frischen Zutaten, also ohne Fleischmehl oder Gemüseflocken. Besonders angetan haben mir die Duo-Leckereien, bei denen man noch genau den ursprünglichen Rohstoff erkennen konnte, wie Herz auf Apfel, Pute auf Rote Bete, Leber auf Zucchini, Lunge auf Birne oder Huhn auf Süßkartoffel – alles in Bio-Qualität. Den Namen verdankt die Manufaktur der Pauline, einer Labrador-Dame, die die Gründerin Gaby Mayer als dankbare Produkttesterin unterstützt. An der nicht plastikfreien Verpackung muss die Manufaktur sicherlich noch arbeiten, die Idee für die verschiedenen Linien – bio, Dinkel, getreidefrei, vegan, saisonal oder Naturkräuter – in Verbindung mit liebevoller Herstellung fand ich aber sehr gelungen.
CATLABS: Putzig und kreativ, aber nicht regional
Etwas zweispaltig bin ich dem aus der „Höhle der Löwen“ bekannten und mit einem doppelten Deal belohnten Unternehmen CATLABS aus dem bayrischen Kolbermoor begegnet. Seine Katzenspielzeuge sind absolut niedlich, hochwertig verarbeitet, plastikfrei und dank der Möglichkeit es nachzufüllen auch langlebig. Doch leider stammt die Schurwolle aus Neuseeland, was in meinen Augen ein ordentliches Manko darstellt. Während australische, neuseeländische und chinesische Züchter riesige Mengen der Merinowolle zum Dumpingpreis anbieten können, landet das edle Naturprodukt in Deutschland nicht selten im Müll, weil die Wollproduktion hierzulande kaum noch rentabel ist. Wenn man schon den Produktionsstandort in Nepal ansiedelt – eine lobenswerte Idee aufgrund der dort herrschenden Armut und sozialen Ungerechtigkeit – so könnte man doch wenigstens die deutschen Schäfer unterstützen, indem man ihnen die Schurwolle abkauft.
WOOLLY WOLF: Hundezubehör aus recyceltem Kunststoff, genäht leider in China
Voller Erwartung bin ich zum Stand von WOOLLY WOLF in der Halle 11 marschiert, dessen Produkte ich auf der Sonderfläche des Product Showcase im Eingangsbereich Mitte entdeckt habe: solide verarbeitete und schön designte Leinen, Halsbänder, Geschirre, Reisenäpfe und Futtertaschen sowie Spielzeug aus recyceltem Plastik. Doch leider werden sie, so die Sales Managerin Joanna Haapanen, allesamt in China hergestellt, was bei mir einen faden Beigeschmack hinterlässt. Corona-bedingte Lieferschwierigkeiten und der Ukraine-Krieg, der zusätzliche Abhängigkeiten ans Licht befördert hat, könnten doch Grund genug sein, den europäischen Markt zu bemühen und die EU-Wirtschaft zu stärken, statt immer nur den Gewinn durch die Produktion in Niedriglohnländern zu maximieren.
Key Facts Interzoo 2022, der weltgrößten Fachmesse der internationalen Heimtierbranche:
- Vier Tage: 24.-27. Mai 2022
- 1.329 Aussteller aus 59 Ländern
- 28.000 Besucher aus 129 Ländern
- 105.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche
- 12 Hallen, 3 Eingänge
- Nächste Edition: 7.-10.5.2024
Stolperfalle China
Viele Unternehmen auf der Interzoo kreieren nur den Schein der Nachhaltigkeit. Meist scheitern sie an dem Stolperstein – oder der Verheißung – namens China. Selbst wenn die VRC nicht mehr nur für miserable, sondern (teilweise) exzellente Qualität steht, so bleiben noch die ausbeuterischen Arbeitsbedingungen, Straflager und massive Verletzung der Menschenrechte sowie der lange Transportweg der Waren nach Europa relevant. Die lauten Bekundungen der Branche über „Sustainability“, reduzierten CO2-Fußabdruck und angestrebte Klimaneutralität täuschen nicht über die Tatsache hinweg, dass die grüne Ausrichtung immer noch mehr Schein als Sein ist.
Mein Fazit über die Interzoo 2022
Der Weg zur Nachhaltigkeit ist kurvig, holprig und mit vielen Hindernissen versehen, doch glücklicherweise entscheiden sich immer mehr Unternehmen, ihren Kurs zu ändern oder betreten von Anfang an die richtig grünen Pfade. Schade nur, dass „Sustainability“ selbst bei den Messeorganisatoren immer noch bloß ein Modebegriff ist. Das beste Beispiel: Bei der Pressekonferenz waren die Häppchen zu 95 % mit Wurstwaren und Fisch belegt. Nicht gerade nachhaltig. Dabei bedürfte vegan-vegetarische Verkostung der Gäste keine tiefgreifenden Änderungen der internen Messeprozesse wie das der Fall wäre bei einem herkömmlichen Tierfutter-Unternehmen, das die Produktion und Verpackung, Logistik und Transport anpassen müsste, um umweltfreundlicher zu werden. Es würde reichen, ein passendes Catering zu finden.
_ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _
*„Lang ist der Pfad und beschwerlich, der aus der Dunkelheit hinaus führt ans Licht.“ bzw. „Lang ist der Weg und hart, der aus der Hölle zum Lichte führt“ – Zitat aus „Das verlorene Paradies“, John Milton
** Die sogenannten Sustainable Development Goals (SDGs) wurden 2015 in New York durch die internationale Staatengemeinschaft vereinbart.
*** Der European Green Deal ist ein von der Europäischen Kommission im Dezember 2019 vorgestelltes Konzept mit dem Ziel, bis 2050 in der EU die Netto-Emissionen von Treibhausgasen auf Null zu reduzieren und somit als erster Kontinent klimaneutral zu werden.