Insektenprotein als alternative Eiweißquelle ist in aller Munde: Es gilt als klimafreundlich, äußerst effizient, sehr nahrhaft und ethisch obendrauf – jedenfalls im Vergleich mit der rücksichtslosen Massentierhaltung von Wirbeltieren. Was macht die Krabbler so wertvoll? Ich suche nach Antworten bei der Insektenzucht Hermetia Baruth südlich von Berlin.

Als ich die hohe, lichtdurchflutete Fabrikhalle betrete, schlägt mir ordentlich warme Luft entgegen. Das Summen hunderttausender schwarzer Insekten, beherbergt in hohen, quaderförmigen Flugkäfigen, dringt in meine Ohren. Ein Tierchen landet unerwartet auf meinem Pulli: Es ähnelt einer großen, schwarz glänzenden Ameise mit langen Flügeln. Meinem fragenden Blick folgend sagt Heinrich Katz, der Geschäftsführer von Hermetia Baruth GmbH, der mich durch das Gelände führt: „Manchmal entwischen ein paar, wenn unsere Mitarbeiter die Netze öffnen müssen.“ Die große summende Masse – imposant wie einschüchternd – bleibt zum Glück innerhalb ihrer luftigen Behausungen. In jedem der zahlreichen Käfige leben 50.000 Fliegen. Gleichzeitig schwirren in dreißig Flugkäfigen hier 1,5 Millionen dieser Insekten durch die Netze.

Schwarze Soldatenfliege bei Hermetia Baruth

Die Flugkäfige für Schwarze Soldatenfliegen bei Hermetia Baruth

Fliegen auf Diät

Was mich so selbstverständlich als einen Landeplatz in Anspruch nimmt, heißt Schwarze Soldatenfliege – bekannt auch als Hermetia illucens. Von der lateinischen Bezeichnung des Fluginsektes leitet sich auch der Name des brandenburgischen Unternehmens ab, das sich auf die Zucht dieser Spezies spezialisiert hat. Das schmale Insekt, das seiner tiefschwarzen Farbe die englische Bezeichnung „black soldier fly“ verdankt, sieht recht unspektakulär aus. Männliche Exemplare sind etwa 14 Millimeter lang, weibliche etwas größer. Ihre optische Unscheinbarkeit machen die Soldatenfliegen mit anderen Eigenschaften wett. In ihrem erwachsenen, geflügelten Stadium sind sie nämlich extrem puristisch unterwegs und nehmen keine Nahrung zu sich. Dafür haben sie einen Riesenhunger im Larvenstadium, in dem sie sich sakrophag ernähren, also von faulenden Pflanzen und Tierabfällen. Allerdings nur in der freien Wildbahn. Denn in der Zuchtfabrik von Heinrich Katz herrschen ganz andere – viel strengere – Ernährungsregeln.

Positive Massentierhaltung

Was die Jungtiere tatsächlich verputzen, sehe ich nicht. Dafür ist die Kinderstube mit den staubkorngroßen Tierchen durch wabenartige Kartonschichten und große grüne Blätter oben drauf verdeckt. Was ich aber zu Gesicht bekomme, sind ihre älteren Geschwister: etwa 20-Cent-Münze große Larven im Alter von knapp drei Wochen. Beim Anblick der gelblich-braunen, beweglichen Masse muss ich mit dem Würgereiz kämpfen, der noch schlimmer wird, als Heinrich Katz mir einen Löffel entgegenstreckt, auf dem sich zwei kleine, fettig glänzende Würmer winden. Mein Ekelgefühl kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es den kleinen Kreaturen hier offenbar gut geht. Sie lieben die Enge und kuscheln sich gerne aneinander, um warm zu bleiben. Heinrich Katz vergleicht seine Zucht halb scherzhaft mit der Schnitzelproduktion. Wo Ferkel geboren werden, legen Fliegenweibchen ihre Eier. Die Larvenaufzucht entspricht der Mästung des Rindviehs. Das Trocknen der Larven und Trennen von Protein und Fett gleicht dem Schlachthof. Der bedeutendste Unterschied liegt in meinen Augen in der Ethik: Während die meisten Rinder, Schweine, Hühner und andere Wirbeltiere in artwidrigen Verhältnissen gehalten werden und unsägliche Qualen leiden, leben die Insekten hier wie die Maden im Speck. Beinahe jedenfalls. Denn Speck – wie auch jede andere Form von Fleisch – ist bei der Fütterung von Insekten streng verboten.

Kinderstube Larven Schwarze Soldatenfliege

Die Kinderstube für die Larven

Keine Müllverwertung möglich

Was auf dem Speiseplan der Larven landet, diktiert das Gesetz und dieses hat bekanntlich seine eigene Logik. In ihrer natürlichen Umgebung sind Insekten hervorragende Abfallvertilger und würden sich mit Wonne über Speisereste hermachen. In einer Zucht wie bei Heinrich Katz dürfen sie ihre normalen Fressgewohnheiten aber nicht ausleben. „Ein Tier, das zu einem Zweck gezüchtet wird, ist ein Nutztier. Und Nutztiere – also auch unsere Fliegen – dürfen laut Gesetz nicht mit Abfall gefüttert werden“, erklärt Heinrich Katz. „Wir dürfen nur zugelassene Futter- bzw. Lebensmittel verwenden.“ Dabei herrscht das Prinzip ‚vor‘ und ‚nach‘ dem Teller. Abfälle ‚vor‘ dem Teller sind überlagerte Lebensmittel, Abfälle ‚nach‘ dem Teller sind Küchen- und Speiseabfälle.
„Wir dürfen zurzeit nur überlagerte Lebensmittel nehmen, die kein Fisch und Fleisch beinhalten. Also Pizza Margherita – ja, Salamipizza – nein. Abfälle „nach“ dem Teller sind tabu.“ Das Fleischverbot ist ein Überbleibsel aus der BSE-Krise, nach der im Jahr 1994 in der EU die Verfütterung tierischer Proteine an Wiederkäuer und seit 2001 an Nutztiere generell verboten wurde. Das will der Geschäftsführer von Hermetia Baruth nicht hinnehmen und kämpft um neue Gesetze. Weniger der Tierchen und ihrer kulinarischen Vorlieben wegen und viel mehr wegen der hohen Kosten. „Abfälle könnten wir fast geschenkt bekommen, stattdessen müssen wir das Futter für unsere Larven teuer bezahlen. Wir wollen, dass auch Speisereste ‚nach dem Teller‘ zugelassen werden“, erklärt der gebürtige Schwabe aus Welzheim bei Stuttgart. Das würde ein effektives Waste Management ermöglichen und die Herstellungskosten von Insektenprotein erheblich reduzieren. Auf diese Weise könnte Hunde- und Katzenfutter auf der Basis von Insekten einer breiteren Kundengruppe zugänglich gemacht werden. Zurzeit kostet ein Kilo Hundetrockenfutter aus Insekten je nach Anbieter zwischen rund sechs und zehn Euro.

Schmerzfreier Tod

Getrocknete Larven Hermetia Illucens

Bereit für den weiteren Weg: Getrocknete Larven der Hermetia Illucens

Bevor die Larven der Schwarzen Soldatenfliege, die bereits zwanzig Tage nach dem Schlüpfen alle wichtigen Nährstoffe enthalten, zum Tierfutter verarbeitet werden, landen sie im Ofen, werden also durch Erhitzung getötet. „Zurzeit dauert es etwa drei bis vier Minuten, künftig setzen wir dafür aber Dampf ein und verkürzen den Prozess auf ein Paar Millisekunden“, erklärt Heinrich Katz mit Blick auf einen großen Ofen mit mehreren flachen Schubladen. Anders als Säugetiere haben die meisten wirbellosen Tiere kein Schmerzempfinden. Während Krabben, Hummer oder Tintenfische die sogenannten Nozizeptoren besitzen, sind Insekten nach den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Schmerzwahrnehmung nicht fähig. Ein beruhigender Gedanke, finde ich, selbst, wenn es „nur“ um Insekten geht.
Ihren Gang zum Henker bekomme ich nicht zu Gesicht, stattdessen das Ergebnis: Schubladen voller getrockneter Larven, die jetzt eine deutlich dunklere Farbe haben. Ich gehe an einer ganzen Reihe überdimensionaler Geräte vorbei: Förderbänder, Schleuder, Trockner, Gabelstapler. Zum Stehen kommen wir bei einer Schneckenpresse, die ihren Namen der schneckenförmigen Welle verdankt, die in einem horizontalen Gehäuse steckt. Diese Anlage trennt das Fett vom Protein. Das Protein landet dann im Hunde- und Katzenfutter. Aus dem Fett ließe sich sogar Kerosin produzieren, doch noch seien die Kosten dafür immens, so Katz.

Heinrich Katz Hermetia Baruth

Keine Berührungsängste: Heinrich Katz und die bewegliche Masse aus Larven

Große Spielwiese

Aus derzeit fünf Millionen Insekten werden bei Hermetia Baruth pro Jahr 300 Tonnen Protein hergestellt. In einer neu geplanten Anlage will das Brandenburger Unternehmen 5.000 Tonnen Insektenprotein pro Jahr herstellen und eine kurze Zeit später sogar das Doppelte. Der Markt boomt. Allein in Deutschland sind in den letzten Jahren einige Start-Ups entstanden, die auf Insektenprotein im Tierfutter setzen, wie Eat Small in Berlin, Tenetrio in Potsdam oder Ofrieda in Duisburg. Mehrere andere haben ihr konventionelles Futtersortiment um insektenbasierte Sorten ergänzt. Es ist ähnlich wie mit veganem Futter – viele Marken, die mit Nachhaltigkeit nichts am Hut haben, wollen neue Zielgruppen gewinnen und auf der Erfolgswelle reiten. Neben Hermetia Ilucens steht der Mehlwurm als Proteinlieferant hoch im Kurs, doch die Spielwiese ist viel größer. Laut der Welternährungsorganisation (FAO) umfasst die Palette der essbaren Krabbeltiere über 1400 Arten, darunter Ameisen, Heuschrecken, Grillen, Buffalowürmer, Käfer, Raupen, aber auch Bienen oder Wespen. Was in Asien und Afrika bereits Alltag ist, soll sich künftig auch in westlichen Ländern etablieren.

Insekten gegen Welthunger

Wie es aussieht werden wir wohl auch keine andere Wahl haben. Glaubt man der FAO, kommt die Menschheit in der Zukunft ohne den Verzehr von Insekten nicht mehr aus. Bevölkerungszunahme, Verstädterung und der wachsende Wohlstand haben den globalen Bedarf an Lebensmitteln, vor allem an tierischem Protein, signifikant erhöht. Hunde und Katzen – so viele positive Nebenwirkungen sie für unsere Gesundheit auch haben – stehen in der Nahrungskette in Konkurrenz zu uns Menschen. Zumal es im Napf der modernen Haustiere öfters hochwertiges Muskelfleisch in Lebensmittelqualität landet, anstelle von anderen Körperteilen, die für die Zweibeiner nicht attraktiv, für ihre tierischen Begleiter aber durchaus von Interesse wären. Bei der Betrachtung des Insektenproteins als alternativer Eiweißquelle spielt aber auch die Produktion von Tierfutter wie Fischmehl oder Soja eine Rolle. Nach Angaben des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft wurden 2017 2,7 Millionen Tonnen Sojaschrot importiert, hauptsächlich aus Brasilien. Für den Anbau werden wertvolle Lebensräume Amazonas zerstört. Auch Fischmehl, das als Beimischung zu Futtermitteln genutzt wird, ist wegen der Überfischung der Meere ökologisch brisant.

Ausschließlich Vorteile?

Krabbeltiere sind wohl also die Nahrung der Zukunft. Gegenüber der Fleischproduktion bringt die Insektenzucht in der Tat eine ganze Reihe klarer Vorteile: Die Tiere brauchen kaum Platz, lieben die Enge, sind anspruchslos in der Haltung und vermehren sich explosionsartig. Sie benötigen wenig Wasser und erzeugen kaum Treibhausgas-Emissionen. „Der CO2-Ausstoß ist je nach Art deutlich kleiner als zum Beispiel von Kühen, auch bezogen auf ein Kilo Protein“, sagt Katz. Ähnlich verhält es sich beim Wasserverbrauch: „Für die Produktion von einem Kilogramm Protein verbrauchen wir circa 20 Liter Wasser, während ein mit Rindern erzeugtes Kilogramm Protein 20.000 Liter Wasser verbraucht. Auch im Flächenverbrauch – Kilogramm Protein pro Quadratmeter Grundfläche – sind wir für die Nahrungsherstellung unschlagbar!“ Kritische Stimmen behaupten, dass Insektenzucht die intensivste Form einer Massentierhaltung darstellt, die überhaupt denkbar ist, und dass neben Kraftfutter auch Antibiotika nötig sind. Heinrich Katz winkt ab. „Wir setzen keine Antibiotika ein und auch unsere Kollegen nicht. Die Waffenfliegen haben eigene antibiotische Vorgehensweisen, sonst würden Sie ja auf dem Misthaufen oder in den toten Tierkörpern krank werden.“ Einzig beim Thema Kraftfutter muss Katz Abstriche machen. „Wir wollen kein Kraftfutter verwenden, werden aber von der EU – Stand heute – dazu gezwungen. Wenn wir zum Beispiel Speisereste und alle überlagerten Lebensmittel verwenden dürften, stellt sich die Frage der Konkurrenz nicht und wir hätten einen perfekten Kreislauf.“ Nach den Nachteilen der Fliegenzucht gefragt, antwortet Heinrich Katz: „Es gibt praktisch keine. Das einzige Problem – die konstant hohe Temperatur von 30°C – haben wir sehr ressourceneffizient gelöst. Wir sind angedockt an das 200 Meter weit entfernte Pfleiderer Faserplattenwerk und nutzen die Abwärme aus dem Biomassekraftwerk. So halten wir die tropischen Temperaturen konstant, die die Schwarze Soldatenfliege für ein optimales Wachstum braucht, und sparen dabei 400.000 Liter Heizöl im Jahr ein.“

Fazit

Insektenzucht scheint die Antwort auf mehrere ökologische Probleme gleichzeitig zu liefern. Sie ist effizient, nachhaltig und human. Wer den Wärmeüberschuss nutzt, der in Deutschland durch Biogas, Biomasseenergie und sonstige Abwärme entsteht, der umgeht auch den hohen Energiebedarf. Wenn man mit Insekten den Welthunger stillen, die Meere vor Überfischung retten und die Massentierhaltung von Wirbeltieren eindämmen kann – was hält uns noch zurück?